Gesine Dornblüth, Thomas Franke, Russlands toxische Gesellschaft

Russlands toxische Gesellschaft

Dr Gesine Dornblüth und Thomas Franke lebten von 2012 bis 2017 in Moskau und arbeiteten dort als Korrespondenten für den Deutschlandfunk. Im vergangenen Jahr veröffentlichten die beiden Autoren und Rundfunk-Journalisten das Buch „Jenseits von Putin – Russlands toxische Gesellschaft“. Dieses Thema greifen sie auch in ihrem gemeinsamen Vortrag auf dem Zukunftsforum Dresden auf.

Als wesentlicher Faktor für die Toxizität der russischen Gesellschaft sehen Dornblüth und Franke die breite gesellschaftliche Akzeptanz von Gewalt in Russland. Dies zeigt sich nicht nur im familiären Umfeld und dem Umstand, dass häusliche Gewalt als nur Ordnungswidrigkeit geahndet wird.

Gewalt sei auch prägender Faktor der Armee seit der Sowjetzeiten, in einem intransparenten und nahezu rechtsfreiem Raum. Bemerkenswert sei auch, dass in Russland jeder dritte Mann mit dem Strafvollzugssystem zu tun habe. Problematisch bei Gewalttaten: Täter würden oft nicht zur Rechenschaft gezogen. Die Straflosigkeit sei ein weiteres Element des Toxischen in der russischen Gesellschaft.

Dazu seien Koloniale und imperiale Verbrechen der russischen und sowjetischen Vergangenheit nie aufgearbeitet worden. Es gebe eine Entkoppelung des Einzelnen vom Staat. Wichtig sei auch zu verstehen, dass Putin an die Macht gekommen sei, weil die russische Gesellschaft ihn wollte.

Als Beispiel für toxische Entwicklungen nannte Dornblüth die Wiedereinführung von Strafpsychiatrie, vor allem gegen Kriegsgegner. So wurden bei Menschenrechtsaktivistin Olga Suvorova als psychiatrische Störungen diagnostiziert: „Die Fixe Idee anderen helfen zu wollen“ „Sie nimmt am gesellschaftlichen Leben teil“.
Dem Memorial-Aktivisten Oleg Orlow wurde diagnostiziert: „Ein gesteigertes Gerechtigkeitsempfinden“ und „fehlender Selbsterhaltungstrieb“

Gibt es Hoffnung auf Veränderung?
Die Journalisten konstatieren, die russische Gesellschaft habe es versäumt zu protestieren, als das noch möglich war. Lew Gudkow vom Lewada Zentrum habe beschrieben: 74% der Russen unterstützen den Krieg. Es gebe eine Sehnsucht nach einem Waffenstillstand, aber zu russischen Bedingungen.

Als wesentliche Indikatoren, dass ein Wandel wenig wahrscheinlich sei sieht Franke den Umstand, dass es in Russland kein individuelles Verantwortungsgefühl für kollektives Handeln gebe. Zudem sei die russische Gesellschaft zutiefst traumatisiert, als Täter und Opfer. Folge wäre: dass die Gesellschaft Gewalt nach außen aber auch nach innen produziere.
Ein erschreckendes Beispiel für die weitere Entwicklung sei die Jugendarmee Junarmia: etwa 1,3 Millionen Kinder und Jugendliche unter Waffen.

„Wir haben es hier mit Leuten zu tun, die der Meinung sind, dass wir Russland hassen und vernichten (…) sie sind gehirngewaschen und bewaffnet.“

Thomas Franke

Er beschreibt Russland als ein ein Ökosystem an Desinformation, das eine Mythologie über seine eigene Existenz hier im Westen verbreitet. Viele im Westen könnten sich nicht das Ausmaß an Zerstörung und Bösartigkeit vorstellen. Franke erkennt in dem Handeln der russischen Führung eine Mafia-Logik in internationalem Maßstab. Er folgert daraus, dass es sich bei Russland um einen Mafiastaat mit Atomwaffen handelt.

Und welche Perspektiven für Veränderung gibt es?
Die Exilanten seien zerstritten untereinander. Wichtige Vertreter, die noch in Russland lebten, der säßen im Gefängnis. Man habe es in Russland mit einer Gesellschaft zu tun, an die man nicht herankomme. Es stelle sich die Frage, wie Europa dafür Sorgen könnne, dass man auch in zwei Generationen keine Angst mehr vor Russland haben müsse?

Mit Blick auf Anrainerstaaten wie Georgien und Armenien stelle man fest, dass dort auch eine absolut toxische Situation sowie zerstörte Gesellschaften vorhanden seien, durch langjährigen russischen Einfluss.

Auf die Frage, man der russischen Gesellschaft beibringen könne, dass sie eine Verantwortung für das Handeln ihres Staates trägt, setzen die Beiden auf einen geringen Prozentsatz an Russen, die abweichend vom bisherigen Mainstream denken und die andere Wege suchen.
Der Schlüssel für Veränderung sei die Ukraine. Russland müsse den Krieg verlieren, um das Narrativ Putins zu brechen, „Wir sind ein Siegervolk, das steckt in unseren Genen“. Der Westen müsse den Wettstreit gewinnen.
Über mehrere Generationen hinweg sei Russen ausgetrieben worden selbstständig zu denken was gut, schlecht, böse, richtig oder falsch sei. Putin habe auch deswegen Angst vor einer Ukraine, die sich nach Westen orientiert, weil sie ein Gegenmodell zu seinem Modell ist, also der mafiösen Strukturen. Staaten, die unter Korruption leiden, seien viel einfacher zu beherrschen und die Bevölkerung viel einfacher zu unterdrücken.

Zum Informationskrieg gegen Europa wurde die Frage diskutiert, warum es keine Gruppen oder keine staatliche institutionelle Unterstützung gebe, die den russischen Taktiken entgegenwirkt?

Dabei wurde auch diskutiert, welche Mittel wir als Demokratien nutzen sollten. Dürfe man mit den gleichen Mitteln wie eine Diktatur kämpfen, oder wolle man sauber bleiben.

Hier berichteten Sie von einem hochrangig dotierten Treffen, bei dem Wirtschaftsvertreter die Journalisten aufgefordert hatten, kritische Berichterstattung über Russland zu ändern, da diese geschäftsschädigend sei.
Zusammenfassend betonten sie, Hauptmotiv Putins die Ukraine zu zerstören sei ganz banaler eigener Machterhalt. Im Kampf gegen die hybride russische Kriegsführung gegen Europa halten Dornblüth und Franke es für wichtig, den demokratischen Diskurs hier zu festigen – dann habe diese Art Kriegsführung gegen uns keine Chance mehr.

Weiterführende Links:

https://www.herder.de/geschichte-politik/shop/p4/78139-jenseits-von-putin-klappenbroschur


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