Dr. Heike Winkler und Dr. Franziska Davies im Gespräch

Dr. Franziska Davies und Dr. Heike Winkel – Wirkungsweise russischer Desinformation

Dr. Franziska Davies ist Osteuropa-Historikerin an der LMU München,
Dr. Heike Winkel ist Referentin für politische Bildung über russländische Desinformation bei der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb).

Zum Auftakt beschrieb FrauDr. Winkel die Unterschiede zwischen den Begriffen Desinformation, Propaganda und Fake News und stellte dabei die Frage, wohin russische Desinformation im In- und Ausland zielt.
Man sollte sich mit der Desinformation in der russischen Informationssphäre auseinander setzen, da sie ein Instrument der hybriden Bedrohung durch Russland sei.

Frau Dr. Davies beantwortete die Frage, warum russische Desinformation in Deutschland besser funktioniert als in CEE-Staaten und was das über uns aussagt. Sie sieht den gemeinsamen deutsch-russische Imperialismus in Bezug auf Mittel-Osteuropa als blinder Fleck deutscher Erinnerungskultur.
Der deutsche Vernichtungskrieg gegen Polen und UdSSR 1939-45 sei auch kolonialer Ausbeutungskrieg gewesen. In Deutschland habe sich ein imperiales Mindset gegen über Staaten wie Polen und der Ukraine gehalten. Eine Romantisierung der deutscher Ostpolitik seit Brandt führte ihrer Auffassung nach zu falschen historischen Verständnissen.
Als Beispiel für die Widersprüche deutscher Ostpolitik beim Umgang mit Widerstandsbewegungen wie Solidarność in Polen
nannte Davies ein Zitat von Egon Bahr: „Frieden ist wichtiger als Polen“.
Heutige russische Erzählungen über Ukraine („keine Staatlichkeit“ erinnerten sie an deutsche Erzählungen über Polen in der Zwischenkriegszeit.
Es gebe in Deutschland oft eine gedankliche Gleichsetzung von Russland und der UdSSR und damit verbunden ein Ignorieren der ukrainischen und belorussischen Opfer des 2. Weltkriegs.

Das imperiale Erbe schlage sich auch in wissenschaftlichen Strukturen nieder (Russozentrismus). Deutschen sei anti-kolonialer, eher emanzipatorischer Nationalismus fremd, daher wurden die Maidan-Proteste in 2014 in einer breiten Öffentlichkeit in Deutschland missverstanden.

Die Frage, warum Deutschland ein emanzipatorisches Nationalgefühl fehle beantwortete Davis, dass Mittel-Osteuropäer ihre Unterdrückungs-Geschichte in der Ukraine gespiegelt sehen, Deutschland aber keine eigene Erfahrung mit genozidaler Besatzung habe. Die Geschichte zeige, dass Besatzungen mehr Tote hervorbringen als militärische Konflikte können.
In Ostdeutschland fehle eine nationale Befreiungsgeschichte, stattdessen sei die Wiedervereinigung eine getrennte Geschichte geblieben. Der Schutz durch NATO musste in (Ost-)Deutschland anders als in vielen Mittel-Osteuropäischen Staaten nicht erkämpft werden.

Auf die Frage, wie bessere Sensibilisierung gegen Desinformationen in Deutschland gelingen könne, antwortete Winkel, das Thema Desinformation sei schon wichtiger Bestandteil politischer Bildung. Sie wies auf die Kampagne „Forum gegen Fakes“ hin.
Dort habe es auch Umfragen gegeben. Ein überraschendes Ergebnis: Nur wenige Bürger gehen bei Desinfo von ausländischer Einflussnahme aus.

Zu dem Statement, dass Kampf gegen Desinformation eine gemeinschaftliche Aufgabe sei, wies Frau Winkel auf den Unterschied zwischen strategischer Kommunikation und politischer Bildung hin. In anderen Ländern gebe es weniger Vorbehalte gegen strategische Kommunikation. Deutschland sei vom Beutelsbacher Konsens mit seinem Kontroversitäts-Gebot geprägt. Was in der Wissenschaft Kontrovers gesehen werde, müsse so auch in Bildungseinrichtungen transportier werden. Falls strategische Kommunikation eingesetzt würde, müsse das transparent gemacht werden.

Auf dem Publikums-Kommentar zum Problem der pathologisch ausgelösten Gewalt antwortete Davies, dass in der deutschen Debatte der Mythos von russischen „Sicherheitsinteressen“ als Grund für den russischen Krieg gegen die Ukraine angenommen worden. Die tatsächlich neo-imperiale Ideologie würde von vielen als „Quatsch“ abgetan. Aber z.B. Whataboutismen wie „Aber die NATO“ erklärten Kinder-Verschleppung durch Russland nicht.

Dr. Benjamin Tallis wies in einem Kommentar darauf hin, dass das nach wie vor vorhandene imperiale Mindset in Deutschland auch die deutsche Tagespolitik erklären könne: Deutschland schaue nicht nur über Mittel-Osteuropäische Staaten hinweg wenn es mit Russland interagiere, es schaue auch über westeuropäische Alliierte hinweg, wenn es mit Washington rede. Davis bestätigte, dass es viele Blinden Flecken in Deutschlands Sicht auf den 2. Weltkrieg gebe.
Dabei gelte unter deutschen Historikern der Witz: „Großmeister der Erinnerung, das sind wir!“

Tallis berichtete über den missglückten Witz eines deutschen Offiziellen im Baltikum, als er gefragt wurde, warum die deutsche Rüstungsproduktion nicht gesteigert werde: „Be careful what you wish for!“ Hier werde sich in falscher Weise hinter deutscher Geschichte versteckt, um sich vor heutiger Verantwortung zu drücken.

Dr. Jochen Kleinschmidt berichtete über eine Sendung des spanischen Programms der Deutschen Welle, in der unwidersprochen Kreml-Desinformation, unter anderem von einer Frau Sitenko verbreitet werde. Auf seine Programmbeschwerde hin habe die DW geantwortet, es gäbe ein Interesse an Meinungsvielfalt.


Dr. Franziska Davies ist Osteuropa-Historikerin an der LMU München,
Dr. Heike Winkel ist Referentin für politische Bildung über russländische Desinformation bei der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb).

Quellen:
https://forum-gegen-fakes.de/de/start

https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/krieg-in-der-ukraine-2023/518833/ende-der-ostpolitik

https://laender-analysen.de/ukraine-analysen/289/russlands-aggression-gegenueber-der-ukraine-in-den-deutschen-talkshows-2013-2023-eine-empirische-analyse-der-studiogaeste


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