Resümee Samstag 11. 5. 2025

Oleksandr Marchenko, Viezebürgermeister von Bachmut und Tetiana Tatarinova, Leiterin der Abteilung für wirtschaftliche Entwicklung

Zusammenfassung der Vorträge und Debatten am 2. Veranstaltungstag des Zukunftsforum Dresden. Die Vorträge des 1. Veranstaltungstages befinden sich hier.
Der Vormittagsblock wurde von Bürgern aus der Zivilgesellschaft gestaltet. Sie haben sich in der weltweit aktiven Graswurzel-Bewegung NAFO kennengelernt und treten seit 2 Jahren für die Unterstützung der Ukraine und den Schutz europäischer Werte ein.

Jörg Becker und Peter Holzer

berichteten von Erfahrungen und Studien zu den Chancen und Perspektiven von Graswurzel-Bewegungen im Informations-Krieg. Wie erreicht man „Resilienz durch dezentrale Gruppen“ ?

Sie beschrieben Fallstricke und Schwachpunkte, mit denen gesellschaftliche und politische Bewegungen ohne böse Absicht ihre Wirksamkeit verlieren können. Diese Schwachpunkte könnten von schädlichen Akteuren missbraucht werden, die ihren eigenen Vorteil suchen. Gefährlicher sei aber, dass all diese Angriffspunkte das Risiko bergen, von Akteuren feindlicher Staaten missbraucht zu werden – um die Gruppen unwirksam zu machen oder für negative Zwecke einzusetzen.
Als Gegenmittel sehen die Vortragenden: Werte und checks and balances.

Jörg Becker und Peter Holzer

Grit Friedrich

Die DDR-Bürgerrechtlerin beschrieb in ihrem Vortrag, wie Menschen in Ostdeutschland vielfach traumatisiert wurden: 3. Reich, Weltkrieg, sowjetische Besatzung, DDR-Diktatur, Wendezeit und Wiedervereinigung.
Die faktische Unmöglichkeit für viele, über traumatische Erfahrungen zu sprechen und sie damit zu verarbeiten, könne nach medizinischen Studien zu einer unterbewussten Übertragung der Traumata an folgende Generationen
führen. Hier sieht Friedrich einen Angriffsvektor für russische Desinformation und Subversion. Das könnte ein Faktor für die Erfolge pro-russischer Parteien in Ostdeutschland sein.
Ihr Lösungsansatz: Die Themen publik manchen, Gesprächsformate entwickeln – gerade auch mit Westdeutschen – um durch Erfahrungsaustausch und gegenseitiges Verständnis die deutsche Einheit zu vollenden.

Grit Friedrich

Bianca Krause und Jörg Becker

Aus ihrer intensiven Beschäftigung mit der Geschichte der Ukraine stellte Bianca Krause dar, wie „Kultur und Geschichtsbewusstsein als Faktor der Resilienz“ einer Gemeinschaft dienen können.
Sie beschrieb dabei wie wichtig das Ausbilden einer Identität sei, und wie die imperiale Strategie Russlands im Verlauf der Geschichte bis heute gezielt die eigene Identität unterdrückter Völker angriff.
Jörg Becker spannte den Bogen zu den Angriffen auf Europäische Werte und Identität, wenn beispielsweise bei uns von pro-russischen Akteuren nationalistische Zerrbilder unserer Identität befördert werden.
Ein Lösungsansatz den auch die Ukraine verfolgt, sei: sich der positiven Aspekte eigener Geschichte, Kultur und Identität bewusst zu werden und diese zu fördern.

Bianca Krause

Harriet von Natzmer

Die engagierte Lehrerin beobachtet, dass es manchen Akteuren im Bildungssektor schwer fällt, zu politischen Themen wie dem russischen Angriffskrieg eine eigene Haltung zu artikulieren. Dabei sehe sie in der Schülerschaft ein großes Interesse an politischen Themen und im Beutelsbacher Konsens von 1976 den Rahmen, mit dem auch politisch kontroverse Themen in der Schule bearbeitet werden könnten.
Sie beschrieb die Herausforderungen von Schule, gegen die ungefilterte Informationsflut der sozialen Medien und die Herausforderung, Desinformation zu erkennen, mit valider Bildung zu bestehen.
Lösungsansätze für erfolgreiche politische Bildung und die Förderung von Schülern zu resilienten und mündigen Bürgern sieht sie in Projekten wie AULA oder ähnlichen skandinavischen Projekten, in denen Eigenverantwortung in Demokratie für Schüler sinnlich erlebbar gemacht wird.

Harriet von Natzmer

Christian Wolf

Als Rechtsanwalt unterstützt er seit Beginn des russischen Angriffskriegs pro-ukrainische Kundgebungen in vielen deutschen Städten. Hierbei fiel ihm auf, wie Polizeibehörden Gesetzeslage und Rechtsprechung zu verbotenen Symbolen oft nicht kennen oder unzureichend umsetzen.
Am Beispiel einer Kundgebung am sowjetischen Ehrenmal in Berlin zeigte er am plastischen Beispiel eines vor Ort gedrehten Videos, wie Polizeibeamte sich zuerst weigerten, ukrainischen Demonstranten Schutz zu gewähren – und gleichzeitig strafbare Handlungen russischer Provokateure nicht unterbunden.
Wolf forderte eine bessere Aufklärung sowie eine strikte Umsetzung von Gerichtsbeschlüssen, damit bei uns rechtsfreie Räume für gezielte russische Provokationen und Machtdemonstrationen geschlossen werden.

Christian Wolf

Natalija Bock und das Ukrainische Haus Dresden

Gemeinsam mit der Ärztin Schrifstellerin Iryna Fingerova und drei geflüchteten Frauen aus der Ukraine präsentierte die Leiterin des Ukrainischen Hauses Natalija Bock das Projekt „Gemeinsam Heimatlos“ des Ukrainischen Haus Dresden – eine Foto- und Interviewreihe mit Geflüchteten aus Syrien, Libyen und der Ukraine.
Die Frauen erzählten ihre persönliche Fluchtgeschichte. Eindrucksvoll dabei die Geschichte einer 77-jährigen aus dem Gebiet Saporischschja, die zu Beginn der russischen Vollinvasion die Herstellung von Molotov-Cocktails organisierte, dann aber in letzter Minute, nur mit wenigen Lebensmitteln und ihrer Katze im Gepäck, vor der russischen Besatzung floh.
Mehr über das Projekt hier.

Natalija Bock und Iryna Fingerova, sowie 3 geflüchtete Frauen

Tetiana Tatarinova und Oleksandr Marchenko, Militärverwaltung Bachmut

Der stellvertretende Leiter der Militärverwaltung der Stadt Bachmut Marchenko und die Leiterin der Abteilung für wirtschaftliche Entwicklung des Stadtrats von Bachmut Tatarinova schalteten sich live aus ihrem provisorischen Amtssitz in Dnipro zu.
Sie schilderten ihre Bemühungen, Kontakt zu den mehr als 200.000 geflohenen Bewohnern des Rajon Bachmut zu halten, der von den russischen Angreifern fast vollständig zerstört wurde.
Direkte Hilfe benötigten sie bei der Herstellung von provisorischen Unterkünften im Westen der Ukraine für viele ihrer geflüchteten Bürger.

In die Schlagzeilen war das Team um Bürgermeister Oleksii Reva durch dessen engagierte Wiederaufbaupläne gekommen. Sein Stellvertreter Marchenko schilderte die ambitionierten Pläne vom Aufbau der historischen Altstadt bis hin zu modernsten Wohnvierteln als „15 Minuten-Stadt“. Er machte dabei auf die großen Hürden aufmerksam, beginnend mit Minenräumung und Schuttentsorgung.
Tetiana Tatarinova nahm die mit dem Zukunftsforum entstandene Idee eine Städtepartnerschaft Bachmuts mit einer deutschen Kommune interessiert auf.

Vizebürgermeister von Bachmut
Sergij Schidlowski dolmetschte das eindrückliche Gespräch mit Marchenko und Tatarinova.

Yegor Horoshko

Der Gründer der Hilfsorganisation „Hell’s Kitchen Kharkiv“ stellte dieses Projekt -das unter anderem auch Krankenhäuser mit Essen versorgt- und die von ihm initiierten und geförderten Social Enterprises vor: Eine Bäckerei, die im Kampfgebiet liegende Ortschaften versorgt oder Werkstätten für Fahrzeuge.
Ein besonderes Projekt ist die Entwicklung eines kostengünstigen und schnellen Räumgeräts gegen Antipersonen-Minen, die gerade im Gebiet Charkiw häufig eingesetzt werden. Horoshko brachte bei der Entwicklung Maschinenbau-Ingenieure, aber auch Fachleute von Sicherheitsbehörden zusammen. Er zeigte uns per Video eine Demonstration des Geräts im Einsatz.
Für die Serienproduktion des Räumgeräts werden Investoren, Lieferanten und Spender gesucht. dafür wollen wir in nächster Zeit aktiv um Hilfe werben.

Yegor Horosko Hells Kitchen Charkiw
Minenräumgerät

Das Gespräch mit dem Vizebürgermeister von Bachmut hatte uns die Notwendigkeit von günstigem und schnellem Minen-Räumen für die Zukunft der Ukraine deutlich vor Augen geführt.